Wir bauen wieder auf
Es vergeht kein Jahr, in dem im März nicht an die totale Zerstörung Zweibrückens erinnert wird. Aber bis vor 44 Jahren wurde im März in Zweibrücken noch ein ganz besonderer Geburtstag gefeiert, an den wir dieses Mal erinnern möchten. Am 1. März 1894 wurde im Spessart ein Mann geboren, ohne den wir nicht in „unserer Stadt“ Zweibrücken leben würden.
Stille. Es ist der Morgen des 20. März 1945. Der Beschuss hatte wieder einmal aufgehört. Aber diesmal war es anders, es blieb still. Um 9 Uhr wurden die ersten Soldaten der 7. Division der 3. US Infanterie der US Armee am Rande der Stadt gesichtet. Der Wahnsinn hatte ein Ende.
Durch die verheerenden Bombardierungen in den vergangenen Kriegsjahren, insbesondere der größten am 14. März 1945, war Zweibrücken zu über 90 % zerstört, was als total zerstört galt. Flächenberechnend gab es nirgendwo in Deutschland einen größeren Schaden, wie es auch in der amerikanischen Zeitung „Herold“ vom 3. Juli 1945 zu lesen war: „Der größte Trümmerhaufen ist die einst blühende Industriestadt Zweibrücken“. Die französische und amerikanische Besatzung hatte bis dahin geplant, die noch wenigen stehengebliebenen Mauern einzureißen und die Bevölkerung ins Umland umzusiedeln, die historisch so wertvolle Stadt Zweibrücken hätte aufgehört zu existieren, was man auch als Wüstung bezeichnet!
4500 Zweibrücker atmeten auf. 6 Tage und 6 Nächte hatten sie in ihren Kellern und Ruinen ausgeharrt. Hatten überlebt, waren die letzten Bewohner von … nichts. Über eine Million Tonnen Trümmer lagen auf dem, was einmal die Zweibrücker Innenstadt war und drum herum sah es nicht besser aus. Zweibrücken war ausradiert und das sollte auch so bleiben, wenn es nach dem Willen der Besatzungsmächte gegangen wäre. Für sie war es undenkbar, Zweibrücken an Ort und Stelle noch einmal neu aufzubauen. Es wurde kurzzeitig darüber nachgedacht, Zweibrücken an einer anderen Stelle neu zu errichten. Aber sie hatten die Rechnung nicht mit der Zweibrücker Bevölkerung gemacht! Die Zweibrücker wollten ihr Zweibrücken wieder haben und zwar genau da, wo es bis vor wenigen Tagen noch gestanden hatte. Ihrem Glauben an den Wiederaufbau gaben sie durch eben diesen Mann, Ignaz Roth, eine Stimme.
1915 an der deutsch-französischen Front verwundet, kam er nach Zweibrücken in´s Lazarett. Von da an hatte er eine neue Heimat gefunden, zumal er hier auch seine große Liebe fand und 1919 heiratete.
Ab 1922 war er Bezirksleiter des Holzarbeiterverbandes. Ab 1926 arbeitete Roth als Angestellter bei einer Konsumgenossenschaft und ab 1929 dann als Fachangestellter für Arbeitslosenversicherung beim Arbeitsamt. 1933 wurde er aus politischen Gründen entlassen. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde er kurzzeitig in „Schutzhaft“ genommen und im Anschluss unter Polizeiaufsicht gestellt. Von 1934 bis 1945 arbeitete er als selbstständiger Schreiner in Zweibrücken.
Nachdem er bei der US Kommandantur vorgesprochen hatte und nach Sichtung seiner politischen Vorgeschichte, Roth war Mitglied in der SPD, gab man ihm am 22.3.1945 nur 15 Minuten Bedenkzeit, ob er der von ihnen eingesetzte Bürgermeister dieser völlig zerstörten Stadt werden wollte.
„Wir bauen wieder auf. Auf jeden Fall!“
Zweibrücken hatte seinen ersten Nachkriegsbürgermeister.
Er hatte als Schreiner schon viele Dinge gebaut, hatte das richtige Handwerkszeug und Material dafür gehabt, aber jetzt, eine ganze Stadt – mit was?
436 Bombentrichter verteilten sich auf dem was einmal Zweibrückens Straßen waren. 19 Brücken existierten nicht mehr. 28 Kilometer Kanalisation, 72 Kilometer Wasserleitungen, 80 Kilometer elektrische Leitungen und 41 Kilometer Gasleitungen waren Opfer der Bomben geworden. Und auf all dem lag dieser riesige Berg von dem, was der Feuersturm in der Nacht des 14. März übrig ließ, und den seit dem die Zweibrücker Bevölkerung den schwarzen Mittwoch nannte
Allerdings war das nicht sein einziges Problem. Immer mehr Zweibrücker kamen zurück, suchten Unterschlupf in den Ruinen der Stadt, weil es ihr Zuhause war. Ende 1945 waren schon 23000 Zweibrücker wieder „Zuhause“ und mussten versorgt werden.
Mit Schaufel und Pickel und den nackten Händen begannen die Zweibrücker Bürger die Schrecken des Krieges zu beseitigen. Ignaz Roth steckte seine ganze Energie in dem festen Glauben an ein Gelingen in ein gewaltiges Vorhaben, das er mit seinen Mitbürgern unermüdlich vorantrieb, wozu auch die Gründung der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (Gewobau) gehörte. Von 1946 bis 1959 leitete er als Oberbürgermeister der Stadt Zweibrücken das Kommando „Wir bauen wieder auf“, bis er im Alter von 65 Jahren die Geschicke der Stadt in die Hände von Oskar Munzinger übergab.
Am 4. März 1972 starb Ignaz Roth im Alter von 78 Jahren als Ehrenbürger der Stadt in seinem Zweibrücken.
„Wir schaffen das.“ Ignaz Roth wusste, dass es schwer werden wird, aber er wusste auch wovon er sprach, wenn er meine Heimat sagte.
Es gibt viele Tage im März an denen wir in Zweibrücken kurz innehalten sollten.
Ignaz Roth (li.) zeigt der französischen Besatzung das Ausmaß der Zerstörung, im
Hintergrund das schwer beschädigte Schloss
Ignaz Roth (mi.) mit guten Freunden, (li.) Geheimrat Trier-Kling,
(re.) Polizist und Händler Christian Knerr 1930er Jahre
Ignaz Roth 1959
Ehre, dem Ehre gebührt